Nettoposition: Der Deutsch-Italienische Defizitkreislauf
"Junge Welt", 01.08.2010
Wenn Flavio Valeri, der Chef der italienischen Dependance der Deutschen Bank, gegenüber italienischen Medien versichert, sein Finanzhaus werde weiterhin sein Engagement in italienischen Staatsanleihen aufrechterhalten, dann sollten sich nicht nur Italiens Finanzpolitiker Sorgen machen.
In einem an die Tageszeitung Corriere della Sera gerichteten Brief versicherte Valeri, seine Bank sei Italien fortwährend »stark verpflichtet«. Das Engagement der Deutschen Bank gegenüber dem italienischen Staat sei innerhalb des vergangenen Jahres »im wesentlichen unverändert geblieben«, beteuerte der Bankmanager.
Das ist nur halb gelogen: Der Wert der italienischen Staatsanleihen in den Bilanzen der Deutschen Bank mag tatsächlich größtenteils unverändert geblieben sein, doch sank die sogenannte Nettoposition des führenden deutschen Finanzinstituts gegenüber Italien in den vergangenen sechs Monaten von etwas mehr als acht Milliarden Euro auf knapp eine Milliarde Euro, wie die Financial Times Deutschland am 26. Juli berichtete. Die Nettoposition umfaßt die Forderungen einer Bank an Schuldner abzüglich der durch Kreditversicherungen abgesicherten Anteile. Die Deutsche Bank hat somit ihre italienischen Staatsanleihen massiv mit Kreditausfallderivaten (CDS – Credit Default Swaps) abgesichert, um im Fall einer italienischen Staatspleite keine Verluste zu erleiden – sofern die Kreditversicherer nicht selber von der Krisendynamik erfaßt werden.
Unklar ist indes, inwiefern weitere Banken ihr Engagement in Italien bereits verringert haben. Die Deutsche Bank hat jedenfalls ihre Nettopositionen gegenüber allen südeuropäischen Mitgliedsländern der Euro-Zone binnen der ersten sechs Monate dieses Jahres um 70 Prozent auf nur noch 3,7 Milliarden Euro reduziert. Eine ähnliche Flucht deutscher Banken setzte auch im Fall Griechenlands ein, wo diese entgegen anderslautender Zusagen massiv Staatsanleihen abstießen (siehe jW vom 21. Juli) und hierdurch ihre Bestände bis Mitte 2011 auf nur noch knapp zehn Milliarden Euro reduzierten. Italien ist hingegen ein anderes Kaliber. Ende März hielten deutsche Finanzinstitute Forderungen gegenüber Italien in Höhe von 116 Milliarden Euro, wovon rund 36 Milliarden auf die öffentliche Hand entfielen.
Diese enorme Exposition deutschen Finanzkapitals in Italien trug zur Finanzierung der Handels– und Leistungsbilanzdefizite bei, die Italien hauptsächlich gegenüber Deutschland verzeichnete. Die mit massenhafter Verelendung deutscher Lohnabhängiger erkauften Exportoffensiven des Kapitals äußerten sich in einem enormen Außenhandelsüberschuß der BRD gegenüber Italien, der von 1,7 Prozent des Außenhandelsvolumens im Jahr 1995 auf 14,5 Prozent 2010 anschwoll.
Mehr als die Hälfte des italienischen Handelsdefizits des vergangenen Jahres ist somit auf die deutschen Handelsüberschüsse im Italien-Geschäft von rund 14,4 Milliarden Euro zurückzuführen. Kurz vor Krisenausbruch 2007 betrug das italienische Handelsdefizit gegenüber Deutschland sogar 16 Milliarden Euro. Zwischen Deutschland und Italien etablierte sich somit ein Defizitkreislauf, bei dem deutsches Finanzkapital die deutschen Exportoffensiven finanzierte:
Während die Warenströme gen Süden flossen, strömten in die deutschen Banktresore private und staatliche Schuldtitel, die Deutschlands Banken nun möglichst elegant zu entsorgen trachten.